Kapitel 62: Gegensätzliche Gleichnisse
Akio dachte lange darüber nach, wie seine Affinität seine Magie beeinflussen könnte. Elaran hatte Akio erklärt, wie das Mana und die Magie funktionierten und auch, wie Mana sich in Magie umwandeln konnte. Doch das reichte Akio nicht. Während er über die Entstehung seiner Magie nachdachte, fiel ihm auf, dass er noch gar nicht wusste, woher die Magie selbst kam.
A: "Was ist eigentlich der Ursprung der Magie? Woher kommt sie?"
E: "Die Magie war schon immer da. Seit die Menschen auf dieser Welt leben und vielleicht noch länger. Magie ist etwas Natürliches. Früher, als die Menschen noch mehr mit der Natur verbunden waren, war sie auch alltäglich und normal. Es gibt in diesem Sinne keinen Ursprung der Magie. Sie war schon immer da und wird wohl auch immer bestehen."
A: "Weißt du da nichts Genaueres?"
E: "Ich wüsste nicht, was ich dir dazu noch sagen könnte."
A: "Erkennt man denn irgendwie, ob jemand Magie verwenden kann? Sieht man das an seinen Augen oder so? Wer waren diese Menschen, die mehr mit der Natur verbunden waren?"
E: "Bitte immer eine Frage nach der anderen."
A: "Ok... Erkennt man in den Augen, ob jemand Magie verwenden kann und ob er mit der Natur verbunden ist?"
E: "Hast du jetzt versucht, alle Fragen zu einer einzigen Frage zu formulieren?"
A: "...Also?"
E: "Na gut... Ich weiß nichts darüber, ob man das an den Augen erkennen kann, aber ich kenne andere Methoden."
A: "Oh, was sind es denn für Methoden?"
E: "Na, das hast du doch selbst erlebt. Der Magietest, mit dem Loch im Boden."
A: "Die müssen dann immer ein Loch in den Boden machen, damit man sieht, dass sie Magie verwenden können?"
E: "Nein, wie kommst du darauf?"
A: "Du hast doch gesagt, du kennst andere Methoden und dann hast du das mit dem Loch gesagt."
E: "Ja, aber das ist doch einfach nur eine Methode. Das hat doch nichts damit zu tun, dass sie diese Methode immer verwenden müssen."
A: "Ich verstehe dich manchmal einfach nicht..."
E: "Die Magietest-Methode heißt sie. Die andere Methode hast du aber auch mitgemacht."
A: "Die mit der Vase?"
E: "Ganz genau. Die Vase erkennt nicht nur gutes oder schlechtes Mana, sondern erkennt in erster Linie, ob überhaupt Mana in dir fließt, und nimmt dies als Messwert."
A: "Oh..."
E: "Manchmal sind die Antworten nicht so weit entfernt, wie man denkt."
A: "Was sind denn noch Methoden, um zu erkennen, ob jemand Magie besitzt? Vielleicht Methoden, die ich noch nicht gemacht habe!?"
E: "Hmmm... Da muss ich überlegen... Gab es da noch etwas... Ja, mit der Tugend des Menschenlesens, aber das ist sehr speziell und funktioniert nur bei Leuten mit dieser Gabe. Angeblich können sie jeden wie ein Buch lesen und damit auch erfahren, ob jemand lügt, Mana besitzt und welcher Rasse er oder sie zugehört."
A: "Wow... Hast du schon mal so einen Menschen getroffen?"
E: "Ja, das habe ich."
A: "Wie war er so drauf?"
E: "Er wirkte sehr einfühlsam und zeigte auch sehr schnell Reue in verschiedensten Dingen. Er war ein guter Kerl, aber auch sehr unsicher. Ich konnte ihn selber nie ausfragen und wusste oft nicht, was in ihm vorging. Irgendwann ist er einfach gegangen, ohne ein Wort zu sagen."
A: "Das klingt traurig. Habt ihr euch irgendwann wiedergesehen?"
E: "Nein, ich weiß nicht mal, ob er noch lebt, aber das denke ich weniger."
A: "Und das war's dann?"
E: "Ja, mehr Methoden kenne ich nicht."
A: "Nein, ob es das mit dem Menschen war?"
E: "Ach so. Ja. Das war's dann... Warte... Es gibt da noch eine Ableitung von der Magietest-Methode."
A: "Und was ist das?"
E: "Man sieht sich genau die Stelle an, die er erzeugt hat, um herauszufinden und überprüft sie auf Elementarspuren. So ähnlich wie wir es gemacht haben. Nur dass die Gravitationsmagie und auch die Geistmagie keine Spuren hinterlassen, anders als die anderen Elemente."
A: "Worin liegt der Unterschied? Wieso kann man das bei Gravitationsmagie nicht erkennen?"
E: "Wenn du die Grundelemente Feuer, Wasser, Wind, Erde und Metall als Naturmagie gruppierst, dann nehmen diese Auswirkungen auf die Natur, wie schon der Name der Gruppierung vermuten lässt. Dann bleiben noch drei Elemente: Liebe, Schatten und Licht, die als Unsichtbare Magien klassifiziert werden. Sie werden so genannt, weil sie während und kurz nach der Anwendung nicht sichtbar sind. Mit einem geschulten Auge lassen die Spuren sich jedoch erkennen, nachdem sie auf etwas oder jemanden gewirkt haben. Doch sie sind zu schnell, als dass man sie schon davor bemerken würde. Daher der Name. Dann bleiben noch die letzten zwei Elemente: Gravitation und Geist, als „Wirkende" oder „Starke" Magie bezeichnet, da sie die stärksten Nachwirkungen auf den betroffenen Gegner haben."
A: "Du hast die Frage nicht zu Ende beantwortet."
E: "Oh, entschuldige... Man erkennt sie nicht, weil sie nur durch Krafteinfluss ohne Zwischenwirkung funktionieren. Sie sind wie zwei Grundkräfte. Die Geistmagie als Existenzmanipulation und die Gravitationsmagie als Realitätsverbieger. So etwas hinterlässt keine kleinen Spuren, sondern Krater in Köpfen und in Seelen."
A: "Das macht doch aber keinen Sinn. Ich habe das Loch doch trotzdem gesehen. Es wurde doch durch meine Gravitationsmagie erschaffen."
E: "Das stimmt auch. Du kannst sie sehen, aber du kannst nicht sehen, auch nicht als Profi, ob sie durch eine Naturkatastrophe, einen Unfall oder etwas anderes als Magie erschaffen wurde. Du siehst nur den Effekt hinter der Magie, aber alle Magiespuren wurden mitvernichtet. Die Geistmagie hingegen lässt die Leute vergessen, als wäre es niemals geschehen. Sie ist ebenso übernatürlich."
A: "Und was ist dann mit... Zum Beispiel Feuermagie? Sieht man da, wenn sie jemand verwendet hat?"
E: "Nein, aber..."
A: "Aber was?"
E: "Aber Feuer ist eine Naturmagie, die nur in bestimmten Bereichen natürlich ausbrechen kann unter bestimmten Konditionen so, wie auch bei den anderen Naturmagien. Gravitation wirkt überall und die Auswirkungen sind nicht direkt auf Magie zurückführbar."
A: "Also wenn jemand mit Feuermagie ein Feuer macht..."
E: "...Dann brennt das Feuer weiter und hinterlässt Spuren von Feuer getränktem Mana, was den Bereich mit Mana füllt. Das macht es leichter zu erkennen, dass es sich dabei um Feuermagie und nicht um Feuer handelt."
A: "Und das ist bei allen Naturmagien gleich?"
E: "Genau. Doch die Gravitationsmagie wirkt sofort und nur wer dabei war, weiß, dass es sich dabei um Magie handelt. Es kann also kein Mana gestaut werden. Mana verbraucht sich mit der Zeit und je geringer der Bereich der Wirkung ist, desto stärker ist dann die dort entstehende Manapfütze."
A: "Also wirkt Gravitationsmagie in einem größeren Bereich und deswegen sind die Manateilchen besser verteilt und kaum aufspürbar?"
E: "Du hast es verstanden. Glückwunsch."
Elaran beobachtete Akio einen Moment und ließ ihn über die neuen Erkenntnisse nachdenken. Das Gespräch hatte unerwartete Tiefen erreicht, und Elaran wusste, dass Akio noch viele weitere Fragen haben würde. Doch für den Moment reichte es.
2.
Nach einer kurzen Pause blickte Akio erneut zu Elaran. Etwas schien ihm immer noch unklar.
A: „Aber wenn Magie so schwer zu erkennen ist, wie kann die Regierung Magier überhaupt finden?"
E: „Nur Magier können Magie sehen. Und genau das nutzt die Regierung aus. Sie braucht Magier, um andere Magier aufzuspüren."
A: „Das klingt doch absurd. Sie brauchen Magier, um Magier zu jagen, um sie zu töten – aber warum?"
E: „Die Regierung hält Magie für dämonisch. Sie glauben, sie sei gegen ihren Gott gerichtet. Für sie sind wir eine Bedrohung, die es zu eliminieren gilt. Unsere Magie ist für normale Menschen unsichtbar, aber die Effekte, die sie spüren, machen ihnen Angst."
A: „Das ist doch dumm. Anstatt zu verstehen, wollen sie einfach vernichten."
E: „Ja, so handeln Menschen oft. Was sie nicht verstehen, wollen sie kontrollieren oder zerstören. Sie sehen uns als unsichtbare Feinde mit unsichtbaren Waffen – und das macht sie panisch."
A: „Aber wenn sie Magie nicht sehen können, wie spüren sie sie dann?"
E: „Magie hat physikalische Eigenschaften. Wenn jemand mit Wassermagie nass wird, spürt er die Nässe, auch wenn er die Magie selbst nicht sieht. Magie interagiert mit der Welt und hinterlässt Spuren, die Magier erkennen können."
A: „Also kann magisches Wasser normales Feuer löschen, aber nicht immer magisches Feuer?"
E: „Genau. Die Stärke der Magie liegt in der Intention des Anwenders. Die physikalischen Eigenschaften bleiben oft erhalten, aber Magie ist mehr als das – sie ist eine Energie, die auf Überzeugung und Willen basiert."
A: „Und wenn die Intention nicht stark genug ist?"
E: „Dann kann Magie den Anwender selbst schwächen. Magie ist eine Kraft, die du kontrollieren musst. Wenn du sie nicht führst, wird sie dich führen."
A: „Äh… Was soll das heißen? Mich kontrollieren? Ist doch meine Intention? Kannst du das nicht einfacher erklären?"
E: „…Gut, aber dann war's das mit der Lehrstunde. Selbst ich bin jetzt schon müde vom vielen Reden…
Es ist wie mit der Schattenmagie, die dich in die Tiefe der Verzweiflung zieht und dir ein Gefühl der Einsamkeit gibt…"
Akio runzelte die Stirn. Die Worte hallten in ihm nach. Was Elaran sagte, war nicht einfach zu verstehen, aber die Bedeutung hinter den Worten schien gewaltig. Schattenmagie? Einsamkeit? Für einen Moment fühlte sich Akio, als würde Elaran mehr wissen, als er sagte.
A: „Also kann Magie auch Gefühle hervorrufen?"
E: „Nicht direkt. Aber sie verstärkt, was bereits da ist. Deshalb ist Kontrolle so wichtig, Akio. Es geht nicht nur darum, was du mit deiner Magie tust, sondern auch, was sie mit dir tut."
Akio nickte langsam. Die Verantwortung, die mit Magie einherging, schien ihm größer, als er je gedacht hatte.