Im heißen Schatten des Schlossgartens streckte Simon das Schwert empor und rannte in die offenen Arme seines Vaters. „Der Thron gehört mir!", sagte er und stolperte über seine Füße.
König Erhard konterte mit einem rechten Stahlschwung. Er presste die Klinge an Simons Rippen, zerteilte den Saum seiner Prinzenrobe und schnitt ihm die Brust vom Leib. Simons Herz hörte auf zu schlagen, sein Körper stürzte ein, die Wiese unter ihm färbte sich rot.
Erhards Augenlicht verschwamm, die Schattenhitze brannte ihm die Schultern wund und schickte ihn auf die Knie.
„Überraschungsangriff!", bildete er sich ein zu hören, bevor ein Holzschwert seinen Schneid kreuzte und die Trugbilder verdampften.
Simon erholte sich von der Stolpereinlage und griff in die Verteidigung seines Vaters ein. Einen linken Aufwärtsschwung parierte Erhard mit schräger Klinge, den Tritt auf sein Schienbein bemerkte er kaum rechtzeitig.
„Tut das weh!", schimpfte Simon über die glänzenden Beinschoner und schlug das stumpfe Messer im Rechtsdrall auf die heißgelaufenen Schulterplatten.
„Wo ist meine schöne Rüstung?", fragte Simon.
„Wenn du fleißiger lernen würdest-"
„Nicht das schon wieder!", unterbrach er den König, reckte das Schwert und setzte zu einem Vertikalstreich an.
„Deine Deckung lässt zu wünschen übrig."
Erhard stellte sein Beinpaar breiter auf und klatschte ihm den Zweischneid mit einem waagrechten Schockstoß aus der Hand.
„Hab dich."
Bevor Simon den Einschlag spürte, lockerte er seinen Griff. Das geschliffene Holz zerschellte an der Schlossmauer, er vergriff sich an Erhards Eisenschuhen und huschte im Purzelbaum durch seine Beine.
Der Prinz zog ihm das Gleichgewicht von den Füßen, der Schwerkraft ergeben flog er auf seinen Rücken und begrub Simon unter sich.
„Haha! Heute darf ich auf dem Thron sitzen…", nuschelte er mit dem Gesicht im Grün.
„Was hast du gesagt?", spottete Erhard.
„Mein Kettenhemd…hat sich…keine Luft…"
Erhard rollte sich zur Seite ab und erlöste ihn. „Meinen Respekt Prinz, du bist ein großartiger Kämpfer geworden."
Er richtete sich auf, reichte Simon eine helfende Hand.
„Findest du?" Simon nahm seine Hilfe an, als ihm die Füße weggetreten wurden und sein Steißbein den Rasen küsste.
„Ein großartiger Kämpfer, mit einem großen Drang zu sterben. Mach das nie wieder, verstanden?"
„Ungerecht! Vorhin warst du damit zufrieden, dass ich dich umwerfe."
„Dann hast du nicht zugehört. Ich habe nie gesagt, wirf dein Schwert weg und lass dich lebendig begraben."
„Du bist genauso feige, wie Mama immer sagt."
„Feige?"
„Drehst dir deine eigenen Worte im Mund um, nur weil du verloren hast!", Simon wagte es nicht, aufzustehen. „Ständig bist du abgelenkt…Solltest du nicht mein Vorbild sein, eure Hoheit?"
„Wir wissen beide, dass ich kein gutes Vorbild für dich bin", Erhard fuchtelte mit dem Schwert.
„Ein ganz schlechtes, ich weiß."
„Deswegen kümmert sich auch Eliza um deine Erziehung. Und wenn du das als ungerecht empfindest, dann tausche deinen Platz mit irgendeinem Kind aus Grandia-Ko. Ich bin mir sicher viele würden sich freuen."
Simon verschränkte seine Arme. „Ein Berufswechsel? Warum nicht - Moment. Es kommt darauf an. Darf ich Marie mitnehmen?"
„Bist du nicht etwas zu alt, um Gute-Nacht-Geschichten vorgelesen zu bekommen?"
„Unfug, das mache ich selbst. Aber ich bringe ihr das Lesen bei. Ich kann meine beste Schülerin nicht einfach zurücklassen."
„Hat ein Bäckerssohn eine Dienstmagd an seiner Seite, die ihm das Brot backt und die Wäsche faltet?"
„Unter Umständen…"
„Belassen wir es heute dabei", Erhard legte die Holzwaffe ab.
„Du hast noch viel zu lernen, deine Gepflogenheiten lassen zu wünschen übrig und du scheinst zu glauben, dass das alles ein Vergnügen sei. Aber - das gehört zu der Wahrheit dazu - du hast dich schon schlechter geschlagen."
„Findest du?", er hechtete in den Schneidersitz und gaffte seinen Vater an.
„Wenn du dich in der Akademie anstrengst, könntest du länger als drei Sekunden auf dem Schlachtfeld überleben."
„Findest du?!"
„Aber um ganz ehrlich zu sein", lächelte Erhard ihn an, „ich vergesse jedes Mal ein Stück mehr, dass du erst Zehn Jahre alt bist."
„Elf."
„Eifer im Gefecht, ist für das hohe Alter schlecht. Hat deine Mutter den…'Kuchen' schon vorbereitet?"
„Meine Bedauernislichkeit, eure Hoheit", antwortete Simon, „ich hoffe sie hat es vergessen…"
„Deine Mutter vergisst keine Geburtstage. Und deiner steht ganz oben auf ihrer Liste." Beide seufzten den schwülen Spätsommer von ihrer Seele.
„Das heißt du bleibst bis morgen, richtig?", fragte Simon. „Wir laden das ganze Land ein und ich packe haufenweise Geschenke aus. Das wird zwar viel Arbeit, aber du kannst mir gerne dabei helfen, vor allem mit den langweiligen Sachen."
Erhard zögerte.
„Natürlich kannst du auch später kommen oder früher gehen. Oder du kannst die ganze Zeit bleiben, das macht mir auch nichts aus. Wir haben wirklich viel Essen vorbereitet, damit alle satt werden und-"
Er legte seine Hand auf Simons Kopf, vertröstete ihn mit einem Kniefall.
„Du bist wirklich groß geworden mein Sohn."
Ehard blickte in tränengefüllte Augen.
„Warum nicht? Du bist gestern erst heimgekehrt und jetzt gehst du wieder? Es ist bloß ein Tag…Ein Tag! Erklär's mir!"
„Ich bin der König dieser Provinz, Simon. Ich muss zurück an die Westfront, meine Leute unterstützen. Je mehr Tage ich hier in Sicherheit verschwende, desto näher rückt Mecáni-Ca's Einmarsch an uns-"
„'V-Verschwende'?", Simon riss sich aus Erhards Klammergriff. „Bin ich eine…Verschwendung für dich? Und Mama?"
Erhards Kehle schnürte sich zu. „So…habe ich das nicht gemeint, das weißt du. Deine Mutter und du…ihr seid mein-"
Weißes Licht blitzte vor seinem inneren Auge auf, als ein Stück Holz seine Stirn traf. Simon schmiss Erhards Schwert auf ihn zurück.
„Jedes Mal dasselbe. Nicht Mal an meinem elften…an dem Wichtigsten! …Vergiss es."
Simon zog sein Kettenhemd aus, rannte aus dem Garten in den Westflur und schmetterte seine Zimmertür zu.
Wolken bedeckten das Sonnenlicht und kühlten die Schatten ab. Im Schutz der Nacht ritt König Erhard mit einer Delegation Söldner vom Schlosshof. „Ich bin bald wieder zurück. Versprochen." Zwei smaragdgrüne Augen beobachteten ihn hinter dem Vorhang des Foyers, als er den Schlossberg hinuntertrabte.
Im Dunkeln seines Zimmers wälzte sich der Elfjährige durch das Bett. Ein Quietschen streute schmales Licht durch den Raum und teilte seinen Körper am Bauchnabel auf. „Mach das Licht wieder aus", döste er, als die Vorhänge zur Seite gezogen wurden und Sonnenstrahlen auf ihn hereinprassten. Er übte sich an einer Verzweiflungstat, bevor die Uhr an der Kinderzimmerwand zum Mittag schlug. Er stülpte die Bettdecke über den Kopf und opferte seine Zehen. Plötzlich packten ihn zwei kalte Hände an den Füßen, er schreckte auf und offenbarte die müde Fratze seiner grimmigen Mutter.
„Du weißt, was heute für ein Tag ist", Königin Eliza riss ihm die Decke vom Leib.
„Ein langweiliger Tag für ein langweiliges Kind", antwortete Simon.
Sie setzte sich neben ihn auf die Matratze, langes blondes Haar kitzelte seinen Oberschenkel. „Hast du dich mit deinem Vater gestritten?"
„Von wegen Streit, dafür hat er ja nie Zeit…", gähnte er.
„Na sowas, musst du wieder ins Bett? Oder weckt dich ein leckeres Stück meiner Geburtstagstorte auf?
„Hey, ich bin nicht müde und auch nicht hungrig! Ich wollte nur, dass er bis heute…schon gut."
Eliza streichelte ihm über die Backe. „Spätzchen, du weißt, dass er für uns alle sein Bestes gibt. Aber ich bin mir sicher, dass ihm schon die Haare ausfallen, weil er dauernd an dich denken muss."
„Die Barthaare zuerst, die piksen immer", sagte Simon, „hoffentlich hat er ein gaaanz schlechtes Gewissen und stirbt vor Hunger, wenn er an deinen Kuchen denkt!"
„Ich verwette mein Plunderrezept darauf. Und weißt du, kein Griesgram kann uns heute davon abhalten, richtig viel Spaß zu haben."
„Oh ja, seine Witze sind grauenvoll. Verda-mnislichkeit! Ich muss noch meine Rundführung vorbereiten! Schnell Mama, meine Kleid-", sein Magen grummelte. „Kriege ich doch ein Stück von deinem Kuchen?"
„Aber nur, wenn du brav bleibst", neckte sie ihn. „Ich habe ihn zusammen mit Marie und Anastasia gebacken, damit er nicht mehr so scheußlich schmeckt."
„Du bist die Beste."
„Ich weiß. Alles Gute zum Geburtstag, mein Schatz."
Für die nächsten Stunden wütete ein Sturm durch den Königspalast. Bedienstete rannten von der Küche in den Festsaal, von der Wäscherei in die Ankleidezimmer, um sämtliche Vorbereitungen für das Fest abzuschließen. Auf dem Schlosshügel in der Hauptstadt der Provinz thronte das Königshaus mit seinen Fluren, Türmen, Gebäudekomplexen und Innenhöfen. Außerhalb der Steinmauern stauten sich seit der Früh die Besucherschlangen bis an die Stadttore.
Als die Glocken zweimal schlugen öffnete sich das Tor. Elf blonde Locken wirbelten sich kopfabwärts, während Simon jeden mit einem Händedruck begrüßte.
„Guten Tag. Ich bin Simon das Geburtstagskind und freue mich, dass Sie heute hier sind", studierte er ein. „Wussten Sie, dass ich ab morgen an der Soldatenakademie aufgenommen werde?", erzählte er jedem, der das Bedürfnis hatte, mehr über ihn zu erfahren.
„Ist das Erhards Sohn? Ziemlich ungehobelt."
„Für Elf Jahre hatte ich ihn mir größer vorgestellt."
„Der soll unser neuer König werden? So schnell wie Mecáni-Ca aufrüstet? Niemals."
„Wie lange wollen sie uns noch warten lassen?"
„Gotteslästerer. Überall Gotteslästerer."
„Dein Gott hat uns erst in die Scheiße hier geritten!"
Im Hintergrund vermischten sich die Gespräche und Simon übte sich im Grinsen.
Sobald sich die Meute auf dem Anwesen verteilte, trommelte er alle kindlichen Gäste zusammen und gab ihnen eine exklusive Rundführung durch alle royalen Ecken. Er präsentiere ihnen die „vier schwebenden Bücher" in der Bibliothek und übersprang dabei die abgestandenen Kriegsgeschichten, stellte sich in die verwunschene Besenkammer und überhörte das Kläppern der umfallenden Besenstiele und badete im „vergoldeten Brunnen", während ein paar Strolche Münzen aus dem Wasser fischten.
Einen Ort aber mied er.
„Dürfen wir uns dort umsehen mein Prinz?"
Er zögerte. „Lieber nicht, das ist die Arbeitsstube meines Vaters. Da sind viele wichtige Sachen drin, die uns nichts angehen...Aber…" Seine Truppe wurde neugierig.
„Ich schätze, es spricht nichts dagegen." Er rüttelte an der Tür, abgeschlossen.
„Schade…Aber vertraut mir, mit diesen Sachen rettet Papa gerade die ganze Provinz!"
Er entschied sich weiterzuziehen und erklärte die Führung im Festsaal für beendet. Einem tobenden Nachmittag folgte ein Bankett mit Kuchen und Gebäck.
„Und?", fragte Eliza.
„Jap. Köstlich", antwortete Simon.
Schließlich dämmerte es und der Berg an Geschenken erreichte seine Spitze.
Der Geburtstagsprinz durfte nach langer Warterei zum Festakt umschwenken. In der Mitte des Festsaales versammelte sich die Hundertschaar um den Präsente-Berg, Simon stand mit Eliza auf der Bühne, beäugte ungeduldig die verpackten Boxen.
Nach Größenordnung sortiert wurden ihm die Pakete von Marie und Anastasia überbracht. Er zog an den Schleifen, zerknitterte Papier, ließ sich von der Aufregung berieseln.
„Habt Dank."
„Vielen Dank."
„Danke sehr."
„Ich liebe es."
Eliza nickte ihm zu.
Der Hügel wurde kleiner, Schwerter mit eingravierten Wappen lagen neben einer Handvoll Ko-Kirschen, eingequetscht zwischen Märchenbüchern und Halbschuhen.
„Vielen Dank, das weiß ich sehr zu schätzen", er zeigte sich begeistert und doch bedrückte ihn etwas.
„Lügner", flüsterte es im Hintergrund.
Er hörte den Vorwurf und konfrontierte die Frau. „Verzeiht, aber das stimmt nicht. Ich bin kein Lügner. Ich mag keine Lügner. Vor allem keine schlechten. Ich freue mich wirklich über die Geschenke." Der Saal wurde still und schenkte der Frau die Aufmerksamkeit. Mit Lobhudelei redete sie sich heraus, plädierte auf ein Missverständnis und bat um Vergebung.
„Sind sie ein Kind des Luminos, werte Frau?", fragte Eliza.
„Aber ja, meine Königin. Ich glaube!", antwortete sie.
„Gehört üble Nachrede zu den Geboten unseres Gottes?"
„Mitnichten, Verehrteste. Ich bereue meine Taten zutiefst", sie verbeugte sich, versteckte ihr Gesicht vor der Öffentlichkeit.
„Dann vergebe ich Ihnen. Heute ist ein Tag zum Feiern, finden Sie nicht?", schmunzelte Eliza.
„Seid gesegnet vom Heiligen Licht, Eure Majestät!"
Simon staunte, belästigte seine Mutter, bis er ihr ein Geständnis entlockte. „Das heißt es Verantwortung zu tragen, mein Schatz. Möchtest du das auch?"
Sie beugte sich vor, im reifen Grün ihrer Iris spiegelte sich Simons Bewunderung.
„Kann ich das denn auch?"
„Mit ein wenig göttlichem Beistand, bestimmt. Vergeben ist deutlich schwerer, als zu bestrafen. Aber ich bin mir sicher, mit etwas Übung wirst du-"
„Kann ich das denn jetzt sofort? Mit dem Wolkenmann anderen Leuten vergeben?
„'Wolkenmann' ist etwas frech ausge-"
„Zeigst du mir, wie das geht?"
„Immer mit der Ruhe. Willst du damit nicht bis zur Akademie warten?"
„Nein."
„…"
„Na schön, dann zeige ich es dir." Sie drückte ihn zurück auf den Stuhl. „Aber nachher. Du hast noch etwas vor dir."
Nervös raschelte er sich durch die letzten Geschenke, bestaunte sie und bedankte sich. Der Berg verschwand, die Sonne schien im Abendlicht. Eine Geste des Abschieds später, drängte sich ein Mädchen aus der Masse heraus und überbrachte dem Geburtstagskind persönlich ihr Geschenk.
„Meine…meine Eltern und ich...leben in der Hafenstadt Kliff-Ko, wo wir...ein...ein Musikgeschäft betreiben", stotterte sie.
„Ist das nicht die Kleine dieser Instrumentenfamilie?", erstes Raunen ging durch die Masse.
„Ja, die Ausgestoßene."
„Ausgestoßen? Schwachsinn, sie wurden vertrieben."
„Hey!", rief Simon, „bitte nicht so laut. Seht ihr nicht, dass sie Angst hat?"
„V-verzeiht mein Prinz. Bitte vergebt uns."
„Gut, ich vergebe euch", sagte er.
Nervöser als zuvor fuhr sie mit ihrem Text fort. „W-w-wir schnitzen Instrumente und verkaufen sie weiter... Die hab-hab ich... selbst gemacht für dich-bitteschön!"
Sie drückte ihm die schwarze Schachtel in die Hände und stolperte die Treppen hinunter. Mit einem Augenzwinkern verschwand sie.
„Äh, Dankeschön." Er öffnete die Büchse der Pandora, in der sich eine Blockflöte befand. Aus dunkelbraunem Holz geschnitzt und mit wellenartigen Einkerbungen verziert, zog sie ihn in den Bann. Er wendete sie, begrapschte das krumme Kopfstück und tastete die Grifflöcher ab auf das ein schriller Klang die Tonlippe verließ.
„Ist das ein Geschenk? Wirklich ein Geschenk? Für mich?"
Die Nacht dämmerte, die Gäste kehrten heim. Zurück in seinem Bett verschreckte er Marie und Eliza mit seinem Talent.
„Wie soll ich sie nennen?", fragte er Marie. Sie blickte in Verwirrung auf Eliza, die sich wegduckte.
„Wie? Naja, das Mädchen sagte sie stamme aus Kliff-Ko, vielleicht etwas mit den Abenddämmerungen dort oder den riesigen Klippen-"
„Das kann auch bis Morgen warten", sagte Eliza und verabschiedete sich mit einem „Gute Nacht".
„Wenn ich groß genug bin, komme ich dich besuchen. Dann spiele ich dir was auf der Abendzeitflöte vor. Versprochen." Eine Briese säuselte ihn in den Schlaf. Sie wehte über das Fenster bis an die Landesgrenzen, wirbelte einen Sturm auf und trampelte die Erde nieder...